Page 15 - Im Sturm
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seine persönlichen Erfahrungen in einem halben Dutzend schwerer
           Stürme und Orkane mit seinen verschiedenen Booten. Dieses Kapitel
           sollte jeder lesen, der sich mit dem Thema befasst. Allerdings verzich-
           tet Erdmann auf eine Verallgemeinerung und erklärt zu seinen Maß-
           nahmen: ›Alles ist richtig für Boote in der Größe von 7 bis 15 Metern.‹
           Diese Auffassung wiederum teilen wir nicht.«

           Die hohe Zahl an abgewetterten Stürmen, die ihren Einschätzungen
           zum Thema Gewicht verleiht, liegt an der Vorliebe der Wilts für die
           abgelegenen Gebiete der Erde, von der Antarktis und Kap Hoorn bis
           zum Nordpolarmeer und der Nordwestpassage. Das sind per se stür-
           mische Breiten, in der Fachsprache aus gutem Grund mit den Attribu-
           ten »roaring«, »furious« und »screaming« versehen.
             Aber selbst auf vielen Törns in gemäßigten Regionen, auf der Nord-
           see, auf Standardrouten im Atlantik und im Ärmelkanal zum Beispiel
           hat die Crew der Freydis außergewöhnlich oft Schwerwetter abbe-
           kommen, weil sie meistens zahlende Mitsegler an Bord hat – insge-
           samt rund 1500 bis heute – und derentwegen »Fahrpläne« einhalten,
           also zu einem bestimmten Termin an einem bestimmten Ort sein
           musste. »Wir können deshalb Schlechtwetter nicht beliebig aussitzen
           und auf Besserung warten«, sagt Erich Wilts. »Da geht es uns wie pro-
           fessionellen Yachtüberführern: Wir müssen das Wetter so nehmen,
           wie es kommt. Wobei wir uns natürlich immer hinterfragen, ob wir
           das Risiko auch so klein wie irgend möglich halten.«
             Die »typischen« Fahrtensegler unterliegen normalerweise keinen
           derartigen Zwängen. Sie sind nach Wilts’ Beobachtungen vielfach als
           Zweiercrews unterwegs und eher auf genussvolles Reisen aus als auf
           Abenteuer und deshalb auf Vorsicht bedacht. Aber auch der Gewis-
           senhafteste, der nur bei sehr guten Vorhersagen auf Törn geht, muss
           damit rechnen, in Schwerwetter zu geraten. Lokal begrenzte Phäno-
           mene wie der Skagerrak-Zyklon zum Beispiel entwickeln sich schnell
           und werden von einer vergleichsweise großräumigen Prognose nicht
           immer erfasst. Und wer zu einem bestimmten Termin im Heimatha-
           fen sein oder eine Charteryacht zurückgeben muss, kann durchaus
           zum Ritt durch heftiges Wetter gezwungen sein. Auf weiten Törns
           lassen sich solche Härten ohnehin nicht ausschließen. »Auch bei bes-
           tem Timing ist es unwahrscheinlich, dass man insbesondere auf den
           kritischen Passagen einer Langfahrt ungeschoren bleibt«, sagt Wilts.
             Zudem ist eine Zunahme meteorologischer Anomalien zu beob-
           achten. Passatstörungen treten häufiger und intensiver auf, das Bö-


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