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Kapitel 1







           Ein neuer Sonnenaufgang, gut 600 Seemeilen westlich von
           Kap Finisterre, weit draußen im Atlantik. Diese Stunde ist
           Fabians Lieblingszeit. Jedenfalls auf See, denn an Land wür-
           de er den Sonnenaufgang zuverlässig verschlafen.
             Voraus ist es heller geworden, zunächst fast unmerklich.
           Die Sterne vor dem Bug vergehen nach und nach. Schon
           kann Fabian in der weichenden Dunkelheit schemenhaft
           einzelne Wellen erkennen. Das Schwarz der See verblasst,
           erst zu einem dunklen, schweren Bleigrau, danach schleicht
           sich das Blau in die Farbe der See, und alles ringsherum wird
           freundlicher.
             Nicht, dass die Nacht auf See unfreundlich gewesen wäre,
           im Gegenteil. 600 Meilen vom nächsten Land entfernt ist es
           ruhig und friedlich. Die Melodia zieht, von ihrer Windfah-
           ne wie von Geisterhand gesteuert, beständig ihre Bahn durch
           den Atlantik. Jedenfalls solange Fabian nicht mit einer plötz-
           lichen  Schauerbö  kämpfen  oder  einem  Schiff  ausweichen
           muss oder wegen anderer Überraschungen aus seinen kur-
           zen Schlafphasen gerissen wird.
             Es ist nicht selbstverständlich, dass die Melodia so un-
           bekümmert ihren Kurs durch den Ozean furchen kann, das
           Wasser zerteilend, immer weiter, ein Schäumen am Bug und
           eine kurze Blasenspur von in der Dunkelheit grünlich schim-


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